Stellen Sie sich vor, Sie sind Geschäftsführer eines Maschinenbau-Unternehmens und erhalten das Angebot, eine Signalanlage für eine australische Kohlenmine zu liefern – ein Millionengeschäft. Machen Sie es? Stellen Sie sich ferner vor, Sie könnten als Geschäftsführer einer Airline Flüge mit CO2-neutralem Kerosin anbieten, das nur leider teurer ist als fossiler Treibstoff. Greifen Sie zu?
Gemeinsam mit Prof. Christian Stöcker (Journalist, Buchautor, Professor für digitale Kommunikation) konfrontierte Prof. Per Christiansen (Rechtsanwalt und Professor für Wirtschaftsrecht) die Schüler:innen des 10. Jahrgangs mit diesen Entscheidungen. Unter der Fragestellung: „Klimakrise: Was behindert uns?“ hielten beide Experten auf Initiative von Frau Christiansen einen Vortrag am Dörpsweg und traten anschließend mit den Jugendlichen in einen Austausch.
Im ersten Teil der Veranstaltung ließ Christiansen die Schüler:innen über die Einstiegsfragen per Handy abstimmen, wobei sich zeigte, dass die 10.-Klässler:innen mehrheitlich den Kohle-Deal annehmen würden. Die Abstimmung zum klimaneutralen E-Kerosin beantwortete in einer ersten Abstimmung die Mehrheit zwar damit, das umweltfreundlichere, teurere Produkt zu bestellen, bei einer genaueren Überlegung änderte sich jedoch das Bild: Überwiegend Zustimmung gab es für die Aussage: „Ich tue für das Klima, was mir möglich ist, aber meinen Bonus stelle ich sicher, notfalls auf Klimakosten.“
Damit lag das von Christiansen ins Zentrum gerückte Problem auf dem Tisch: Klimaschutz muss sich kommerziell lohnen, damit er eine Chance hat. Zwar gäbe es Unternehmen, die im Rahmen langfristiger Strategien Klimaziele in ihre Boni-Ausschüttungen einbezogen, doch stünde dem ein gegensätzlicher Trend gegenüber, wie ihn etwa Unilver-Chef Hein Schumacher mit seiner Überzeugung eines „neuen und notwendigen Realismus“ vertritt. Klimaschutz, bilanzierte Christiansen, komme „nicht aus Unternehmen, sondern von außen“.
Jeder Einzelne könne Einfluss nehmen, so sein Appell: bei Wahlen, bei Kaufentscheidungen oder auch durch Engagement in Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich immer wieder als Treiber für Veränderungen erwiesen hätten.
Im zweiten Teil der Vortragsveranstaltung lieferte Christian Stöcker zunächst anhand zahlreicher Statistiken Belege für den exponentiellen Anstieg der CO2-Emission, der Lufttemperatur und dadurch Luftfeuchtigkeit, für die Erwärmung der Meere, für Hitzewellen und Extremwetter. Er stellte die leidtragenden Regionen der Erde den Industrienationen mit hohem CO2-Ausstoß gegenüber. So wies er Deutschland als weltweit viertgrößten CO2-Emittenten aus, gemessen an der Bevölkerungszahl. 3 Milliarden Dolllar Gewinn würden weltweit täglich durch fossile Brennstoffe erzielt, vielfach steuerlich subventioniert, auch in Deutschland.
Neben Negativ-Bilanzen betonte Stöcker dann jedoch eine andere, positiv bewertete Entwicklung: Das Wachstum von Geschäftszweigen zugunsten der Nutzung erneuerbarer Energien sei gewaltig. Photovoltaik werde laut „The Economist“ zur wichtigsten Energiequelle überhaupt, in Deutschland stammten aktuell rund 60% des Stroms aus erneuerbaren Quellen, das Geschäft mit Solarenergie und Elektromobilität breche alle Rekorde: „Die Exponentialkurve durchschlägt alle Prognosen“, so Stöcker.
Allerdings werde von den „guten Nachrichten“ vergleichsweise wenig gesprochen, wirkmächtig seien Desinformation und Irreführung der Öffentlichkeit. So seien beispielsweise E-Autos schlichtweg weniger klimaschädlich als Benziner, auch wenn das Gegenteil behauptet werde.
Ob die Ressourcenknappheit bei der Batterieherstellung denn besorgniserregend sei, fragt ein Schüler. Inzwischen brauche man Rohstoffe wie Nickel, Kobalt oder Silizium nicht mehr für alle Batterien, antwortet Stöcker, auch seien die Metalle recyclebar.
Welche Unternehmen am schädlichsten für das Klima seien, steht auf einem anderen Fragekärtchen. Stöcker nennt Unternehmen, die mit Kohle Geld verdienten. Zudem sei die Ölindustrie besonders erfolgreich bei gezielter Fehlinformation, etwa Exxon als weltweit größter Konzern.
Eine weitere Frage weitete den Fokus auf die Gesellschaftsform: Ob die Marktwirtschaft die beste Lösung sei. Zwar, so Stöcker, verursache deren Wachstumsorientierung Probleme, zugleich aber auch die genannten positiven Wirtschaftsentwicklungen, zudem sei derzeit „kein besseres Modell in Sicht“.
Die Schüler:innen hatten noch eine Reihe weiterer Fragen, für die die Zeit jedoch nicht reichte. Deshalb haben die beiden Experten diese Fragen schriftlich beantwortet – mit dem Vorteil, dass nun auch Sie die Antworten direkt lesen können: Klicken Sie hier.
Im Anschluss an die Vorträge und den Austausch gab es lauter positive Einschätzungen der 10.-Klässler:innen. „Ich fand es sehr gut“, sagt etwa Henrike, „uns wurde vieles erklärt, was ich noch nicht wusste, und es gab auch gute Nachrichten.“ Till lobt die Vielfalt der „Fakten und Infos“, die „aber so moderiert wurden, dass ich am Ball bleiben konnte“. Neele stimmt zu und hebt die „interessanten und unterschiedlichen Perspektiven“ hervor, die immer „wissenschaftlich fundiert und weitreichend“ gewesen seien. Auch Eric hat es gefallen, „wie gut informiert“ die Vorträge waren und dass sie „Fake-News entkräftet haben“.
Wer Genaueres von Prof. Stöcker lesen möchte, kann übrigens allwöchentlich seine SPIEGEL-Kolumne lesen oder zu seinem Buch greifen: „Männer, die die Welt verbrennen“. Ein aufschlussreiches Interview mit Christian Stöcker gibt es zudem in einem kürzlich erschienen Podcast des „Hamburger Abendblatts“: Klicken Sie hier.