Friedensdialog

Ein starkes Statement für den Frieden erlebten die Schüler:innen aus den Jahrgängen 9-12 bei einem Gespräch zweier Vertreter der „Combatants for Peace“, die miteinander über den Nahost-Konflikt sprachen: der Israeli Rotem Levin und der Palästinenser Osama Eliwat. Beide traten im Dialog für ihre Auffassung ein, dass der Konflikt zwischen Israel und Palästina nicht mit Waffengewalt gelöst werden könne, sondern nur mit einem Verständnis für die Traumata der Gegenseite sowie durch den gemeinsamen Einsatz für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

Beide Diskussionsteilnehmer waren auf Einladung von Frau Fünfsinn an die Schule gekommen und sind Teil der Friedensbewegung „Combatants for Peace“, die 2006 durch ehemalige israelische Militärangehörige sowie palästinensische Kämpfer:innen gegründet worden war. Der englischsprachige Dialog wurde von den Englischlehrkräften Frau Braun und Herrn Rösler ins Deutsche übersetzt. Im Anschluss an einen kurzen Einführungsfilm der „Jewish voice for peace“ berichteten beide Vertreter zunächst und teils sehr persönlich aus ihrem Leben.

So seien seine Kindheit und Jugend von Unkenntnis über die palästinensische Bevölkerung geprägt gewesen, erläuterte Rotem Levin, der aus einem Dorf bei Tel Aviv stammt. In seiner Schulzeit habe das Narrativ geherrscht, dass die Palästinenser die Juden vertreiben wollten. Ein Held der Familie sei ein Cousin der Mutter gewesen, der 1975 bei einem Militäreinsatz ums Leben gekommen sei. Nach einer KZ-Besichtigung im Alter von 17 Jahren sei Rotem deshalb zu der Schlussfolgerung gelangt, dass er sein Land nur durch den Militärdienst schützen könne, sodass er sich habe verpflichten lassen. Nach einer ihm befohlenen Zündung einer Schallgranate in einem Wohngebiet des Westjordanlands seien ihm allerdings erste Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns gekommen. Ein Umdenken habe bei ihm schließlich während einer Begegnung mit zuvor nur als „gefährlich“ eingeschätzten Palästinensern eingesetzt, die ihm ihr Verständnis des in Israel gefeierten Staatgründungsjahres 1948 erklärten. Er sei erstmals mit dem Begriff „Nakba“ konfrontiert worden, der arabischsprachigen Bezeichnung für jenen Katastropheneindruck, der auf palästinensischer Seite aus der Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 Palästinensern resultiere.

Umgekehrt berichtete auch Osama Eliwat (Foto links) von seiner früheren Unkenntnis der israelischen Bevölkerung. Er stammt aus Jericho im Westjordanland. Israelis habe er in seiner Kindheit und Jugend lediglich als bedrohliche Militärs erlebt. Nachdem er mitangesehen habe, wie jüdische Soldaten seinen Vater verprügelt hätten, habe er sich hasserfüllt entschieden, Widerstandskämpfer zu werden. Eine Gefängnisstrafe, die er für das Hissen der palästinensischen Flagge ohne Anklage habe verbüßen müssen, habe seinen Hass nur noch verstärkt. In Folge des Osloer Friedensvertrags von 1994 sei er zwar dem Polizeidienst beigetreten, doch der Schmerz und das Ungerechtigkeitsempfinden seien auch dann noch geblieben. Erst bei einer Begegnung von Juden und Palästinensern 2010 habe er israelische Perspektiven kennengelernt, das Trauma der jüdischen Verfolgung verstanden und zudem Israelis erlebt, die die Gefahr für beide Seiten benannt hätten. Damals er habe begriffen, dass die eigentlichen Feinde Hass, Trennung und Diskriminierung seien. Anstelle des Streits darüber, wer mehr Opfer sei, müsse der  gemeinsamen Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit Vorrang haben.

Hier applaudierte das Publikum, ohne die deutsche Übersetzung abzuwarten. Im Anschluss wurde eine Fülle von Publikumsfragen auf Zetteln gesammelt und gebündelt. Zumindest für die Beantwortung einiger Fragen reichte die Zeit noch. So wurden beide Diskussionsteilnehmer gefragt, wie ihre Familien auf das Engagement bei den „Combatants für Peace“ reagierten. Beide nannten zwar eine gewisse Akzeptanz der Familien, die jedoch anderer Meinung blieben und den Dialog mit einem Vertreter der Gegenseite nur schwer verstehen könnten.
Was sie über die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober dächten, wurden beide Diskussionsteilnehmer gefragt. Gewalt sei nie gerechtfertigt und ein Verbrechen, antwortete Osama. Er distanzierte sich von den Angriffen, die weder in seinem Namen, noch im Namen seines Volkes begangen worden seien. Durch Töten höre der Strudel der Gewalt nicht auf. Rotem seinerseits sei schockiert von den Angriffen gewesen, berichtete er, und auch von den Reaktionen des israelischen Militärs.
Die Frage, ob ein solcher Dialog in Israel, in Gaza oder im Westjordanland vorstellbar wäre, beantworteten sie mit einer gewissen Resignation, beide Seiten seien seit dem 7. Oktober zu stark von Existenzangst und Hass erfüllt.

Auf die Frage nach einem Zusammenleben der Zukunft, einem möglichen Friedensszenario antworteten sie, dass die frühere Trennung, die sie aus ihrer Jugend erinnern, keine Lösung gebracht habe. So erteilte Rotem auch einer Zweistaatenlösung eine Absage. Wichtig seien stattdessen das Verständnis für beide Perspektiven, Hoffnung, Gleichberechtigung und Zusammenarbeit. Alle müssten verstehen, sagte Osama, dass Israel nicht sicher sein könne, solange sich Palästinenser nicht frei fühlten, und dass die Palästinenser nicht frei leben könnten, solange Israel nicht sicher sei. Auch sein Schlussplädoyer erhielt anhaltenden Applaus: Man solle aufhören, nur für eine der beiden Seiten einzutreten, stattdessen brauche es „vom Fluss bis zum Meer Freiheit, Sicherheit und Gleichberechtigung“.

Das Publikum lauschte dem Dialog durchweg hochkonzentriert. Im Anschluss sorgte die Veranstaltung bei einzelnen Schüler:innen für kontroverse Diskussionen, ganz überwiegend waren die Reaktionen sehr positiv. Er habe die Diskussion „überraschend gut“ gefunden, sagte beispielsweise Emran (S1), „mir hat die Gegenüberstellung sehr gefallen.“ Malou und Jeremy (ebenfalls S1) schlossen sich an, fanden die Veranstaltung „sehr interessant und lehrreich“, auch wenn das Weglassen der Übersetzung noch weitere Vertiefungen ermöglicht hätte. Sarah sah hingegen den Sinn der Übersetzung für manche jüngeren Schüler:innen und betonte den Mut der beiden Diskussionsteilnehmer. Auch Leonardo fand es „sehr beeindruckend, wie objektiv beide trotz ihrer früheren Indoktrination blieben“. Es sei „sehr schön gewesen, wie sie gemeinsam berichten konnten“.